„Kennen Sie das Buch „Der Ruinenbaumeister“? Es stammt aus dem Jahr 1968, ist von Herbert Rosendorfer geschrieben und eine köstliche Aneinanderreihung skurriler Geschichten. Der DTV-Verlag wirbt heute noch für dieses wunderbare Buch mit dem Hinweis „Komische und turbulente Abenteuer jenseits aller Vernunft“. Zu den Abenteuern gehört der Ruinenbaumeister Weckenbarth, der sinnlos, aber meisterhaft Ruinen baut, da seine Auftraggeber nicht so lange warten wollen, bis die Häuser durch Zeitablauf schließlich ansehnliche, den neidischen Nachbarn vorzeigbare Ruinen werden.
Manchmal in den 35 Jahren meiner Berufstätigkeit erinnere ich mich an diese Figur Weckenbarth. Wie viele Ruinen habe ich erlebt, wunderbar entworfen und doch schon vor dem ersten Stein zur Ruine bestimmt. Ich spreche von Förderprogrammen der Politik und von Stiftungen, die unentwegt Projekte angestoßen hat, von denen schon vorher erwartet werden durfte, dass sie nie mehr als unfertige Werke sein würden, der neidischen Konkurrenz aber als Beispiel eigener Gestaltungkraft gezeigt werden konnten. Inzwischen ist es keine literarische Schnurre oder Kritik unter Fachleuten mehr. Nein, es wird offen und zunehmend selbstkritisch über die zahllosen Projektruinen engagierter Projekt-Baumeister gesprochen, über die vielen Initiativen, die mit befristeten Budgets aus öffentlichen und Stiftungskassen schön begonnen wurden, aber im Grunde nie mehr als nur Ruinen sein konnten.
Um aus diesem Bild endlich herauszuspringen, um nicht noch mehr „komische und turbulente Abenteuer jenseits aller Vernunft“ zu entwickeln, haben sich vor wenigen Jahren eine kleine Reihe von Stiftungen und das Bundesfamilienministerium zusammengefunden. Sie wollten im Feld der Engagement-Förderung gemeinsam und besser abgestimmt aktiv sein, aber nicht erneut nur für wenige Jahre einige Projekte in den Kommunen anbrüten, um sie dann wieder sich selbst zu überlassen. Daraus ist das Programm Engagierte Stadt entsprungen.
Wir brauchen Bürgerschaftliches Engagement. Darüber gibt es im Grunde keinen Streit mehr. Was aber vielen Politikern schwer fällt, ist die Erkenntnis, dass zwischen wohl-meinenden Worten der Politik über den Wert des Ehrenamtes auf der einen Seite und Forderungen nach dem willigen Einsatz der Bürger für finanzschwache Haushalte auf der anderen Seite eine ziemlich große Zumutung liegt. Engagement braucht Selbstbestimmung und Wertschätzung der Bürgerinnen und Bürger, es ist kein KRUFDI, kein „Kommunaler Reserve- und Freiwilligendienst“. Es braucht genauso stabile lokale Strukturen und Förderung. Engagement ist nicht nur eine Sache des Einzelnen oder der einsam agierenden Bürgerschaft alleine. Es benötigt Anlaufstellen, Organisations-Strukturen und Ressourcen vor Ort, damit aus Engagement tatsächlich Wirkung entsteht. Diese Anlaufstellen und Engagement-Zentralen vor Ort zu haben und vor allem eine effektive Zusammenarbeit der vielen Aktiven zu erreichen ist der entscheidende Schritt zu einem aktiven Gemeinwesen der Zukunft, eben der Engagierten Stadt.
Im Netzwerkprogramm „Engagierte Stadt“ will die gemeinsame Initiative die weitere Entwicklung und Absicherung des bürgerschaftlichen Engagements in den Kommunen und Gemeinden nachhaltig stärken. Es sind dies die Bertelsmann Stiftung, die BMW Stiftung, der Generali Zukunftsfonds, die Herbert Quandt-Stiftung, die Körber-Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und das Bundesfamilienministerium. Gemeinsam stellen wir in drei Jahren insgesamt drei Millionen Euro ausschließlich für lokale Weiterentwicklungsprozesse bei der Engagementförderung zur Verfügung.
Es geht also gerade nicht um den Aufbau neuer Strukturen, die nach drei Jahren dach-und geldlos als Ruinen bestaunt werden können. Genau dies wollen wir nicht. Es geht um das gemeinsame Lernen, wie man in dem Dreiecks-Verhältnis zwischen Bürgergesellschaft, Kommune und Wirtschaft ein besseres Zusammenarbeiten entwickeln und die gemeinsamen neuen Wege im Alltag erproben kann. Genau dies ist auch das ausgezeichnete und deshalb ins Programm aufgenommene Konzept der Freiwilligenzentrale Wetzlar. Ihnen geht es um eine Verantwortungspartnerschaft hier vor Ort und die Füllung dieses großen, aber schönen Wortes mit Leben.
Wer weiß, vielleicht gelingt es ja am Ende des Programms Engagierte Stadt, „Komische und turbulente Abenteuer der angewandten Vernunft“ zu schreiben. Eine Geschichte könnte aus Wetzlar stammen, wenn Sie weiter so zielstrebig entwickeln, was Verantwortungs-partnerschaft im Alltag der Engagierten bedeutet.“
Von Dr. Christof Eichert, Vorstand der Herbert Quandt-Stiftung, anlässlich der Auftaktveranstaltung in Wetzlar am 15. März 2016.