Neues für die engagierte Stadt

Illingen – Wie aus der Verinselung der Hilfeangebote ein gemeinsames Festland wurde

Ein Erfahrungsbericht und drei Projektbeispiele aus dem Saarland
Anke Thomé, Projektleiterin der »Engagierten Stadt Illingen« beim Arbeiter-Samariter Bund (ASB) Illingen, und Laura Werling, Referentin im Programm »Engagierte Stadt« beim BBE, skizzieren in ihrem Beitrag die Erfahrungen, die im saarländischen Illingen mit diesem Programm gemacht wurden. Dabei skizzieren sie die aufgebauten Strukturen mit Engagementteams und Kompetenzzentrum sowie drei konkrete Projektbeispiele: Ratgeber für Flüchtlinge, Bürger fahren Bürger sowie Müllwandern und Clean-Up-Teams. Im Ergebnis zeigt sich, dass »aus der Verinselung der Hilfeangebote ein gemeinsames Festland wurde«.*

Das Vorhaben
Mit dem Vorhaben, die verschiedenen Hilfsangebote im saarländischen Illingen stärker zusammenzubringen und eine übergreifende Struktur sowie gemeinsame Ziele im Sinne des bürgerschaftlichen Engagements zu schaffen, begannen Anke Thomé und die Engagierte Stadt im Arbeiter-Samariter Bund (ASB) 2015 ihre Arbeit. Anlass war die Entwicklung eines Pilotprojekts zur Flüchtlingshilfe, das dazu führte, dass, gemeinsam mit den vielfältigen und engagierten Akteur*innen in Illingen, ein Handlungskonzept und Gelingensbedingungen für die gemeinsame Arbeit und das bürgerschaftliche Engagement in Illingen festgehalten wurde. In diesem Rahmen wurden ganz konkret Voraussetzungen, Ziele, Akteur*innen, Maßnahmen, Regeln der Zusammenarbeit und Maßnahmen sowie Punkte zur Nachhaltigkeit, der Finanzierung und Wirkung festgehalten. Damit setzten die Akteur*innen an einem damals aktuellen Hilfebedarf in der Gemeinde an, um für eine eingrenzbare und zeitlich überschaubare Aufgabenstellung ein trägerübergreifendes Strukturmodell für Illingen zu entwickeln.

Das mag zunächst recht einfach und schnell erledigt klingen. Anke Thomé betont jedoch, wie arbeitsintensiv die Entwicklung eines solchen Konzepts sein könne, dass die Voraussetzungen vor Ort ganz unterschiedlich sein können und man den Prozess der gemeinsamen Entwicklung nicht unterschätzen sollte. Ein paar grundsätzliche Gelingensbedingungen des Projekts kann sie aber teilen, die auch für andere in der Entwicklung gemeinsamer Arbeitsstrukturen nützlich sein können.

Gemeinsam kommt man seinem Ziel näher
In Illingen wird die inhaltliche Kooperation und das Miteinander gemeinsam mit den Projekt-Partner*innen nach den Prinzipien einer »lernenden Organisation« stufenweise, bedarfsorientiert und in operationalisierten Zielschritten entwickelt. Gemeinsam werden Aufgabenfelder und Zielvorgaben definiert und es wird an einem aktuellen und konkreten Hilfebedarf in der Gemeinde angesetzt.

Schritt für Schritt
In diesem gemeinsamen Prozess mit vielen verschiedenen Akteur*innen und ihren Interessen lohnt es sich, nicht zu große Sprünge zu machen. Um komplexe Ziele wie die Entwicklung einer Engagementstruktur zu erreichen, ist ein kleinschrittiges Vorgehen notwendig.

Engagementteams und Kompetenzzentrum
Engagierte Bürger*innen aus der Gemeinde Illingen und engagierte Vertreter*innen der jeweiligen Zielgruppe der Hilfsmaßnahme oder des Projektes bilden ein sogenanntes Engagementteam. Die Zusammensetzung der jeweiligen Personen orientiert sich ausschließlich an den Kriterien der Aufgabenstellung. Trägerzugehörigkeit, Konfession oder andere »Zugehörigkeitsmerkmale« sind damit nachrangig. Dasselbe gilt für den Einsatz professioneller und nichtprofessioneller Hilfeanbieter*innen in den Engagementteams. Ziel ist es, dass sich für jeweils ein Hilfethema, eine Gruppe engagierter Bürger*innen zusammenfindet und gemeinsam dieses Hilfethema bearbeitet.

Die Koordination dieser Engagmentteams liegt bei einer zentralen Stelle. In Illingen ist das das Koordinierungszentrum. Dort definieren alle Partner*innen und Vertreter*innen von Hilfsadressat*innen gemeinsam Bedarfe und entwickeln Hilfsansätze. Zudem gibt es Koordinator*innen, die die engagierten Bürger*innen in ihren Teams unterstützen, beim Start des Angebots und bei dem Aufbau der Organisationsform helfen, beraten und damit das Team fachlich und ideell begleiten.

Arbeitsgrundlagen festlegen, bevor die eigentliche Arbeit losgeht
Um in eine gemeinsame Arbeit zu gehen, haben die Akteur*innen in Illingen zusammen eine Gremienstruktur und ihre Geschäftsordnungen entwickelt, sie haben Hilfsbedarfe und aktuelle Ressourcen erhoben und gemeinsam eine Ressourcenbörse der Hilfeadressat*innen erstellt. Dieses Vorgehen hat sich als eine sehr nützliche und praktische Grundlage für die zukünftige gemeinsame Arbeit erwiesen.

Eine lebendige Struktur schaffen
Erfolgsfaktoren für das Gelingen der gemeinsamen Arbeit in Illingen gibt es viele. Herauszustellen sind die engagierten Personen sowie gemeinsam ausgehandelten Verfahrensregelungen und die Ermöglichung von dem ganz praktischen Handeln aller Akteur*innen. Dadurch erleben die Partner*innen zum einen die Synergieeffekte der gemeinsamen Arbeit, während die engagierten Bürger*innen in ihren Engagementteams weitestgehend selbstständig agieren können und trotzdem Teil eines großen Ganzen im Kontext der Engagementstrukturen in Ilingen sind.

Das neue Miteinander verändert die soziale Realität in Illingen. Diese wird getragen durch das gemeinsame Handeln aller sozialen Akteur*innen in einer verbindlichen Struktur, die durch Kooperationsverträge, schriftliche Absichtserklärungen, Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt durch gemeinsames Handeln.

In langfristiger Zukunftsplanung führt der Aufbau von sozialräumlich orientierten bürgerlichen Interessengemeinschaften und deren Verknüpfung mit Sozialraumteams der Akteur*innen dazu, dass die Bürger*innen von Illingen sich unmittelbar in der Entwicklung und Gestaltung des kommunalen Lebens engagieren

Drei Projektbeispiele, die in diesem Rahmen umgesetzt wurden

2015 starteten die Akteur*innen ihre gemeinsame Arbeit mit Hinblick auf den Zuzug von Menschen mit Fluchthintergrund in europäische Länder und insbesondere nach Deutschland. Gemeinsam stellten die Akteur*innen nicht nur ein Handlungskonzept auf die Beine und entwickelten eine Engagementstruktur vor Ort, sie entwickelten auch konkrete Projekte.

Ratgeber für Flüchtlinge
Eines der Projekte ist eine Ratgeber-Website für Flüchtlinge. Gemeinsam entwickelten und erstellten der ASB Ortsverband Illingen, die Schülerfirma Destination IGI des Illtalgymnasiums mit Flüchtlingen eine Website. Diese hilft Geflüchteten, sich in ihrer neuen Heimatgemeinde besser zurechtzufinden und Alltagsprobleme leichter zu bewältigen. Die Homepage ist dreisprachig angelegt (Arabisch, Deutsch und Englisch), sodass die Flüchtlinge in der Gemeinde Illingen sich orientieren können und einen Überblick über viele Bereiche der Gemeinde erhalten. So finden sich dort zum Beispiel die Adressen von Behörden, Ärzt*innen, Informationen rund um das Thema Ausbildungsplätze, Praktika, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Hinweise auf die wichtigsten Verkehrsregeln und, ganz praktisch, ein Wörterbuch arabisch-deutsch. Auch praktische Hinweise zum Ausfüllen von Formularen, Wissenswertes zum Thema Miete und Nebenkosten, Anträge fürs Kindergeld, dem Führen von Bankkonten oder dem Umgang mit Krankenkassen-Angelegenheiten gibt es. > Video zum Projekt

Müllwandern und Clean-Up-Teams
In Illingen beseitigen viele Helfer*innen gemeinsam den Müll aus Dreckecken in der Gemeinde. Anlässlich des World Clean Up Days am 19. September 2020 organisierten sich die Bürger*innen so, dass sie zum gemeinsamen Müllwandern mit Abstand und auf verschiedenen Müllwanderrouten eingeladen haben. Jeweils ein Müllcoach begleitete die Wandergruppen, es wurden Müllsäcke bereitgestellt und auch der Abtransport des gesammelten Mülls organisiert. Einer der Haupttreiber der Initiative ist Arno Meyer. In einem Interview anlässlich des Beitritts der Illinger Initiative zum Cleanup Network am 14. August 2019 erzählte er über sein Engagement und die Entstehung:

»Ich selbst sammle ja schon seit einigen Jahren in Illingen und anderen Orten Müll. Irgendwann hat mich dann Inge Fuhr vom ASB kontaktiert, denn der ASB koordiniert das Netzwerk »Engagierte Stadt Illingen«. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die »Engagierte Stadt Illingen« primär Aktivitäten im Bereich Bildung und Integration koordiniert. Die Müllsituation in Illingen hat aber den Wunsch geweckt, auch im Bereich des Umweltschutzes aktiv zu werden. Wir treffen uns nun regelmäßig und entwickeln Ideen. Die Engagierte Stadt ist ein starkes Netzwerk und genau die guten Kontakte zur Gemeinde, zu Schulen, Vereinen und Einzelpersonen sind hilfreich bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Ideen und natürlich bei der Umsetzung.«

Komplettes Interview »Illingen schließt sich dem Cleanup Network an«

Bürger fahren Bürger – Neues Mobilitätsangebot in Illingen
Seit dem 1. Oktober 2020 ist in Illingen ein Bürgerbus mit Rufservice eingerichtet. Das Projekt wird in Kooperation mit dem ASB-Ortsverband Illingen als Projekt der »Engagierten Stadt« ausgeführt. Das neue Mobilitätsangebot ist dringend nötig, da der lokale Kerpen-Express in Illingen nach mehr als 20 Jahren eingestellt wurde. Gründe dafür sind die mangelnde Flexibilität des Fahrplans sowie die hohen Kosten bei unzureichender Nutzung der Busse. Mit dem neuen und ehrenamtlichen Angebot des Bürgerbusses erhofft man sich, den Mobilitätsbedarf insbesondere älterer Menschen zu decken.

Der ASB wirbt derzeit um ehrenamtliche Fahrer*innen für das Projekt, das von Bürger*innen für Bürger*innen realisiert wird. Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sollen Zugang zum öffentlichen Raum erhalten. Es werden Fahrten zum Arzt, zum Physiotherapeuten, zum Einkauf, für Erledigungen im Rathaus und anderswo angeboten. Dafür schaffte die Gemeinde ein barrierearmes, umweltfreundliches Fahrzeug an.

Mit einem Großraum-Pkw sind die ehrenamtlichen Fahrer*innen unterwegs. Die Fahrten können bis zum Vortag angemeldet werden und sind kostenfrei. Die »Engagierte Stadt« koordiniert die Fahrten und betreut die ehrenamtlichen Fahrer*innen. Die Projekt-Mitarbeiter*innen betonen dabei aber auch, dass weiterhin Menschen mit Krankentransportschein von den zuständigen Profis gefahren werden und dass das Bürgerprojekt den ÖPNV oder andere kostenpflichtige Fahrdienste nicht ersetzt, sondern ergänzt.

*Auszug aus dem Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE): BBE-Newsletter Nr. 21 vom 22.10.2020

Der Beitrag ist im BBE-Newsletter mit dem Schwerpunkt: Engagierte Stadt erschienen. Der BBE-Newsletter informiert 14-täglich über Engagementpolitik und -debatte in Deutschland, interessante Publikationen und Veranstaltungen sowie Aktuelles aus dem BBE. In monatlichen Themenschwerpunkten vertiefen Autor*innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zivilgesellschaftliche Themen.

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