Neues für die engagierte Stadt

Engagierte Stadt Eichstätt: Wo jeder jeden kennt – und Ehrenamt als Chefsache gesehen wird

Nur mit Mühe kann sich der Bus der Stadtlinie durch das Gewimmel auf dem engen Eichstätter Marktplatz schlängeln. Obst- und Gemüsehändler versuchen Kunden anzulocken, ein Sportverein buhlt um neue Mitstreiter, die Caritas sammelt Spenden und vor dem Rathaus wird für das anstehende Musikfest geworben.

Es ist viel los auf wenig Fläche. Die Situation wird nicht besser, als Punkt zehn Uhr Trompetenklänge vom Rathausturm erklingen. Inmitten des Gedränges steht Maria Bartholomäus und freut sich. Das Wetter passt, Kaffee und Kuchen stehen bereit. Es kann losgehen.

Eichstätt hat eine lange Tradition beständiger Vereine und Initiativen, die teilweise schon seit mehreren Jahrzehnten aktiv sind und damit auch das Bild der oberbayerischen Kleinstadt prägen. Bartholomäus ist Clustermanagerin für Bürgerschaftliches Engagement an der Katholischen Universität (KU) Eichstätt-Ingolstadt und koordiniert das Programm „Engagierte Stadt Eichstätt“ im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Wissenstransferprojekts „Mensch in Bewegung“.

Erst seit 2021 ist Eichstätt Teil des bundesweiten Netzwerkes „Engagierte Stadt“. Das Besondere: Neben den klassischen Partnern ist die örtliche Universität nicht nur Teil des Netzwerks, in ihrer Hand liegt auch die Koordination der Aktivitäten. Die KU begreift sich Bartholomäus zufolge als „Engagierte Hochschule“. Die hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt des ehrenamtlichen Engagements sowohl intern als auch in ganz Eichstätt zu fördern und noch sichtbarer zu machen, Aktive zu vernetzen und Kräfte zu bündeln.

Puzzleteile als buntes Abbild der Vereinslandschaft von Eichstätt

Auftakt dafür ist eine Puzzleteil-Aktion. Die Idee, bereits vor Monaten entwickelt, aber wegen der Corona-Pandemie immer wieder verschoben, soll nun endlich an diesem Samstag im Mai in die Tat umgesetzt werden. Nach und nach strömen Ehrenamtliche herbei, Vorsitzende und ihre Vizes, aber auch ganz normale Mitglieder und nur sporadisch Aktive. Fast alle kennen sich mit Vornamen, es wird gegrüßt, geherzt, gelacht. Die Stimmung gleicht einem Klassentreffen, man kennt sich und sieht sich wegen der Pandemie jetzt erstmals seit zwei Jahren wieder von Angesicht zu Angesicht.

Nicht nur im übertragenen Sinne haben Bartholomäus und ihre Mitstreiter*innen die Ehrenamtlichen Eichstätts wie Puzzleteile zusammengebracht. Sie alle bekommen eine Holzkachel in Form eines Puzzleteils, die jede Initiative selbst gestalten und in ihren Räumlichkeiten aufhängen soll. Am Ende entstehen so hundert verschiedene Teile – die sich zusammenfügen und gemeinsam das große, bunte Abbild der Vereinslandschaft von Eichstätt formen.

Engagement „von unten“

Dass in Eichstätt alles so gut ineinander passt wie die Puzzleteile auf dem Marktplatzpflaster, beruht auf mehreren Faktoren. „Dass die Stadt so sehr durch bürgerschaftliches Engagement geprägt ist, hängt stark mit ihrer Geschichte zusammen“, sagt Bartholomäus. Zum einen habe es schon immer die Kirche und ihre Organisationen gegeben, die in Eichstätt tief verwurzelt seien und Projekte vorantreiben würden. Dazu komme die Universität und damit viele Studierende, die sich aktiv einbringen wollen.

Sowohl Kirche als auch die jungen Menschen hätten schon vor Jahren angefangen auf eine nachhaltige Entwicklung zu drängen, sagt Bartholomäus. „Wir haben keine Freiwilligenagentur und keine lokale Anlaufstelle für ehrenamtliches Engagement.“ Vieles entsteht deswegen ganz automatisch „von unten“, wie sie es nennt. Manchmal zufällig, manchmal aber auch aus der Not, bemerkt Bartholomäus mit Blick auf den Kulturbereich. Gerade dort würde es oftmals an den beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Stadt scheitern – wenn eben die Ehrenamtlichen nicht wären.

Probleme und Ressourcen teilen, um allen zu helfen

Die Folge: „Es gibt viele Mehrfach-Ehrenamtliche, die in der Stadt eine Basis bilden. Sie überlegen ständig, wie sie gemeinsam unterwegs sein und sich gegenseitig unterstützen können.“ Das Programm „Engagierte Stadt“ docke dort an, bildet aber ausdrücklich kein Netzwerk, was noch zusätzlich oben drauf kommt, erläutert Bartholomäus. Wichtig sei gewesen, dass es gleich am Anfang einen Aha-Effekt gegeben hat. Nämlich: „Wir sind schon eine engagierte Stadt!“

Alle Beteiligten stellen sich zudem immer wieder die eine Frage: Wie schafft man die teils bereits jahrzehntelang bestehenden Strukturen gut zu integrieren, ohne dass der Eindruck einer Anspruchshaltung und vor allem keine neuen Hierarchien und Mehrbelastung entstehen? Die eine Lösung gibt es nicht, sagt Bartholomäus, es müsse ständig neu verhandelt werden.

An kreativen Konzepten mangelt es in Eichstätt nicht. So gibt es bereits einen gemeinsamen Kalender, damit sich Veranstaltungen nicht überschneiden, ein stadtweites Verleihsystem für Ausstattungsgegenstände und mehrere Vereine nutzen gemeinsam einen Kassenwart. Die Devise: Probleme und Ressourcen teilen, um allen zu helfen.

Kleine Stadt, großes Engagement

Obwohl nur etwas mehr als 13.000 Menschen in Eichstädt leben, ist das Angebot weit gefächert und die Ehrenamtsarbeit breit aufgestellt: Im Zentrum der „Engagierten Stadt Eichstätt“ stehen neben der KU Eichstätt-Ingolstadt, das Nachhaltigkeitsnetzwerk „fairEInt“ und der Verein „Bahnhof lebt!“, der sich für ein kreatives, offenes und buntes Miteinander einsetzt und das alte Bahnhofsgebäude als gesellschaftlichen und kulturellen offenen Treffpunkt wiederbeleben will.

Ausgestattet mit Farbe, Kleber und Spraydosen sind sie alle zur Puzzleteil-Aktion gekommen, dazu Vertreter*innen des örtlichen Kreisverbandes des Deutschen Roten Kreuzes, des Kolpingwerks, der Amnesty International Hochschulgruppe, des Kinderschutzbundes, eines Pfadfinder-Stamms, einer Musikschule und eines Tanzclubs sowie Engagierte, die die Zusammenarbeit mit den Eichstätter Partnerstädten Bolca und Montbrison vorantreiben.

Ehrenamtliches Engagement als Keimzelle der demokratischen Gesellschaft

Doch auch in Eichstätt läuft bei Weitem nicht alles glatt. Eine Herausforderung sei etwa die Rolle der Stadt gewesen. „Wir sehen sie nicht als Adressat unserer Wünsche und Anliegen, sondern als Partner“, skizziert Bartholomäus das Verfahren. Außerdem habe es Bedenken gegeben, dass sich einige klassische Ehrenamtler, etwa vom Malteser Hilfsdienst oder der Feuerwehr, ausgegrenzt fühlten könnten.

Einer, der genau bei diesen Fragen integrierend wirkte, war Eichstätts Oberbürgermeister Josef Grienberger. Der CSU-Politiker ist selbst seit seiner Jugend in mehreren Vereinen, in der Freiwilligen Feuerwehr und im Pfarrgemeinderat aktiv. Auch deswegen hat sich der 33-Jährige trotz eines proppenvollen Terminkalenders Zeit genommen, um bei der Puzzleteil-Aktion dabei zu sein.

„Viele Strukturen unserer kleinen Stadt, ein großer Teil des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens und der Jugendarbeit basieren letztendlich auf ehrenamtlichem Engagement“, betont Grienberger. „Feuerwehr, Vereine und Initiativen beleben die Stadt erst und sorgen für sozialen Zusammenhalt. Ehrenamtliches Engagement ist die Keimzelle der demokratischen Gesellschaft.“

Geld oder Sachleistungen sind nicht alles

Die Stadt ist laut Grienberger der größte lokale Unterstützer von ehrenamtlicher Arbeit. Dabei sei aber nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine ideelle Unterstützung wichtig. „Ich habe sogar oft die Erfahrung gemacht, dass Geld oder Sachleistungen gar nicht so wesentlich sind. Vielmals hilft schon, wenn man einen Tipp parat hat, wer etwas mitorganisieren kann oder wer der richtige Ansprechpartner ist“, sagt Grienberger. Auch die Arbeit der Ehrenamtlichen wertzuschätzen sei ihm zufolge sehr wichtig.

Grienberger hat selbst sein großes Ehrenamts-Netzwerk mit ins Oberbürgermeisteramt genommen. Aus dem Rathaus heraus versucht er weiter die Aktiven zu vernetzen und Initiativen miteinander zu verbinden. „Eichstätt hat den Vorteil, dass bei uns alles überschaubar ist, viele kennen sich eben.“ Auch Grienberger selbst sei „immer niedrigschwellig ansprechbar“, wie er sagt. „Es gibt keinen Verband, Verein oder Person, der oder die nicht innerhalb kurzer Zeit einen Termin oder Rückruf bekommt. Ich behandle diese Dinge als Chefsache!“

Wichtige Erfolgserlebnisse

Eines der jüngsten erfolgreich vermittelten Unterfangen war der Bürgerobstwald, ein Projekt von „fairEInt“. Das Eichstätter Nachhaltigkeitsnetzwerkes wollte einen öffentlichen Ort der Begegnung schaffen und suchte dafür eine Fläche, wo Bäume angepflanzt werden konnten. Möglichst zentrumsnah, möglichst beschaulich und mit möglichst gutem Boden. Die Stadt stellte schließlich ein städtisches Grundstück zur Verfügung und versucht eine dauerhafte Finanzierung für den Wald sicherzustellen, indem es Stiftungen und Sponsoren weitervermittelt.

Dagmar Kusche war überrascht, wie schnell am Ende alles ging. Von der Idee einer „kleinen, grünen Oase in Eichstätt“ im Frühjahr 2021 bis zur Umsetzung im vergangenen September dauerte es nur wenige Monate. „Es war ein Erfolgserlebnis für uns alle. Das Projekt hat gezeigt, was man mit vereinten Kräften schaffen kann und wie begeistert auch die jungen Leute mitziehen“, schwärmt Kusche. Sie ist eine jener Eichstätter Multi-Ehrenamtlichen: Koordinatorin von „fairEInt“, Vorsitzende der Steuerungsgruppe der Fairtrade-Stadt Eichstätt und sie sitzt im Vorstand des Vereins Welt-Brücke.

Ein Teil der Obstwiese ist bereits hergerichtet, Löcher für Sitzbänke ausgehoben und die Planungen für das große Sommerfest im Juli laufen ebenso. All das motiviert, wie im Gespräch mit Kusche schnell zu spüren ist. Auch sie kehrt die Vorteile der Kleinstadt mit ihren kurzen Wegen und persönlichen Kontakten heraus. „Ob im Rathaus oder in einem anderen Verein: Man weiß immer, wer einem weiterhelfen kann.“

Außerdem sei der jetzige Bürgermeister ungemein offen, sagt Kusche über Grienberger, der erst seit 2020 im Amt ist. „Er kommt aus einer ganz anderen Generation und zeigt sich viel offener.“ Wenn er hinter einem Projekt stehe, „dann läuft das“. Das wiederum erhöht die Zufriedenheit der Engagierten. Denn die bekommen im positiven Sinne zu spüren, dass sie etwas voranbringen können, auch wenn es manchmal nur in kleinen Schritten passiert. „Das motiviert und bringt neue Leute dazu mitzumachen“, bemerkt Kusch. Und wenn alles passt, kommt sogar noch ein weiteres Puzzleteil in Eichstätt hinzu.

Ein Text von Marco Fieber.

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