Neues für die engagierte Stadt

Engagierte Stadt Lilienthal: Stück für Stück mehr Vernetzung

Nachhaltigkeitsmesse und Netzwerkarbeit für Familien: Die Gemeinde Lilienthal arbeitet an zwei Projekten im Rahmen der „Engagierten Stadt“.

Die Voraussetzungen haben sich geändert. Und doch: „Ein Ziel haben wir alle gemeinsam – es soll den Familien gutgehen. Diese Haltung gilt es, in die Fläche zutragen.“ Susanne Kampmann vom Netzwerk Frühe Hilfen des Landkreises Osterholz fasst zusammen, was alle in der Runde denken. 13 Frauen und ein Mann in der Runde nicken zustimmend. Aber es gibt durchaus noch einiges zu tun. Dafür dient das Netzwerktreffen an diesem Montagvormittag in den Räumen der evangelischen Kirchengemeinde Lilienthal.

„Familien in belastenden Lebenslagen“ ist das Thema, über das die Frauen und der Mann beraten. Es ist das zweite Teilprojekt, das in der knapp 20.000 Einwohner großen Gemeinde gleich an der Grenze zu Bremen unter dem Label „Engagierte Stadt“ läuft. Parallel dazu organisieren Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Einrichtungen die zweite Nachhaltigkeitsmesse am 8. Oktober im Kulturzentrum Murkens Hof. Damit zeigt die Gemeinde nicht nur in Sachen „Engagierte Stadt“ Flagge, sondern auch im Rahmen der Europäischen Nachhaltigkeitswochen. Diese beginnen am 18. September und enden an eben jenem 8. Oktober. Das Motto: „Go Green“.

Die Teilnehmenden des Workshops über „Familien in belastenden Lebenslagen“. Bild von Ulf Buschmann.

Die Freiwilligen-Agentur

Die koordinatorischen Fäden aller Projekte laufen bei Regine Moll zusammen. Sie ist die Leiterin der im Jahr 2020 gegründeten Freiwilligen-Agentur (FWA) Lilienthal. Das „e.V.“ hinter dem Namen verrät: Die FWA ist ein Verein, der das Projekt „Engagierte Stadt“ trägt. Mehr noch: Ohne die „Engagierte Stadt“, diesen Titel trägt Lilienthal bereits seit 2015, würde es nach Einschätzung von Regine Moll wohl die FWA gar nicht geben. Immerhin befindet sich die Gemeinde schon in der dritten Phase des Projekts „Engagierte Stadt“, die von 2020 bis 2023 läuft. Der Grundgedanke, Vereine, Institutionen, Verwaltung, Politik und Wirtschaft unter einem abstrakten Ziel zu vernetzen, sei bewusst so gehalten, sagt Regine Moll. Nur bei der Wirtschaft gebe noch Luft nach oben.

Die Vereinskonstruktion der Freiwilligen-Agentur „ermöglicht uns gerade im Rahmen der ,Engagierten Stadt’ ein Höchstmaß an Unabhängigkeit gegenüber von Politik und Verwaltung“, ergänzt die Leiterin. Und doch ist das Rathaus nicht so ganz außen vor: Der im Alter von nur 45 Jahren vor wenigen Tagen verstorbene Bürgermeister Kristian Willem Tangermann war Vereinsvorsitzender. Aktuell muss die 2. Vorsitzende Christina Klene Tangermanns Aufgaben übernehmen.

Durch den plötzlichen Tod des Bürgermeisters steht die Freiwilligen-Agentur vor veränderten Rahmenbedingungen. Dies gilt ebenso für das Teilprojekt „Familien in belastenden Lebenslagen“. Großen Einfluss auf die Ausrichtung und nicht zuletzt die komplette Arbeit der beteiligten Institutionen wird der Krieg in der Ukraine mit den zu erwarteten zehntausenden Flüchtlingen haben. Ihnen dürfte ein großer Teil der Tätigkeit der Menschen gelten, die haupt-, aber insbesondere ehrenamtlich in der Gemeinde tätig sind. Darüber ist sich der Kreis an diesem Vormittag einig.

Workshop-Leiterin Frederike Bosse bringt es auf den Punkt: „Der Ukraine-Krieg verlangt die Neujustierung unserer Arbeit.“ Hinzu komme, dass die Einrichtungen, die in ihrer Arbeit auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind, nach zwei Jahren Corona-Pandemie viele ihrer Freiwilligen verloren haben.

Zielstrebige Vernetzung

Doch davon möchten sich die Teilnehmenden des Workshops nicht entmutigen lassen, im Gegenteil. Engagiert und konzentriert spinnen sie an ihrem Netzwerk. Was ist notwendig? Wie lassen sich Menschen, Angebote und Institutionen am besten miteinander vernetzen? Im ersten Schritt tragen die Frauen und der Mann zusammen, welche Qualifizierungen für die Freiwilligen selbst notwendig sind. Reflexion und später Supervision, Kurse im Umgang mit psychologischen und psycho-sozialen Belastungen oder auch Hygiene stehen auf der Flipchart von Leiterin Frederike Bosse.

Um entsprechende Kurse oder Bildungsangebote machen zu können, sollen das alles über die Internetseite der Freiwilligen-Agentur veröffentlicht und verteilt werden. Auch die Frage nach Social-Media-Vernetzung steht im Raum. Oder soll es über Arbeitskreise stattfinden? Und was ist mit dem Ostkreis, mit den Gemeinden Worpswede, Grasberg und der Samtgemeinde Hambergen? Die Teilnehmenden setzen sich beharrlich mit diesen wichtigen Fragen auseinander.

Geschlossene und offene Fragen

So weit, so gut – das alles in Angriff zu nehmen, nützt nichts, wenn niemand weiß, was sich die Familien, also die Zielgruppe denn eigentlich wünschen. Hier gilt es noch, ordentlich zu arbeiten. Sollen die Bedarfe nach einem Fragebogen schematisch abgefragt werden? Oder sollen es offene Fragen sein? „Was macht Dein Leben schwierig?“, ist zum Beispiel Letzteres. Eine Arbeitsgruppe hat nach dem vergangenen, dem zweiten  Netzwerktreffen, einen Fragebogen entwickelt. Dieser könnte als Leitfaden dienen.

Doch die Umsetzung scheint noch schwierig – darüber sind sich die Teilnehmenden an diesem Vormittag noch nicht klar. Als Entmutigung versteht das Ganze indes kein Mensch in der Runde. Es gibt eben noch einiges zu besprechen, um am Ende ein Angebot für die Menschen in belastenden familiären Situationen machen zu können. Stand an diesem Montagvormittag: Außer dem Bogen mit standardisierten Fragen gibt es eine Liste mit offenen Fragen. Es soll keine repräsentative Befragung stattfinden; dafür sind Kernfragen vorgesehen. Und: Die Arbeitsgruppe wird sich noch einmal abschließend mit der Zielsetzung befassen.

Der Begegnungsort

Workshop-Leiterin Frederike Bosse nimmt sich das nächste Blatt ihrer Flipchart vor. Die Teilnehmenden kommen jetzt nämlich zu einem wesentlichen Punkt des Teilprojekts: dieses benötigt einen Begegnungsort. Dass es solch einen nicht gebe, sei der Grund dafür, dass viele Projekte scheitern, sagt Freiwilligen-Agentur-Leiterin Regine Moll, die mit in der Runde sitzt. Im Auge hat sie das Konventshaus der ehemaligen Philippus-Gemeinde. Sie hatte sich Ende vergangenen Jahres aufgelöst und den Raum an die Bremer Zell-Gemeinde abgegeben. Regine Moll macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass für diesen Raum eine dauerhafte Finanzierung gesichert sein müsse. Hierzu seien nun Ideen gefragt.

Aber nicht nur dafür, denn im letzten Teil des Workshops machen sich die Teilnehmenden intensiv darüber Gedanken, was es für eine offene Sprechstunde braucht. In vier Arbeitsgruppen gehen sie das Problem an: Soll es einen Flyer geben und eine feste Sprechzeit? Wie können sich die Ehrenamtlichen beziehungsweise ihre Arbeit miteinander vernetzen? Wie lassen sich feste Termine überhaupt organisieren? Muss ein Name für das Angebot her? Sollen Kinderärzte mit eingebunden werden, zum Beispiel über eine Hotline? Frederika Bosse sammelt die Ideen eifrig, damit die Teilnehmenden beim nächsten Netzwerktreffen daran weiterarbeiten können.

Die Nachhaltigkeitsmesse

Noch ein halbes Jahr, dann steht die zweite Ausgabe des ersten Teilprojekts der „Engagierten Stadt“ an: die Durchführung der Nachhaltigkeitswochen. Ein erster Termin steht bereits nach viel positivem Feedback des letzten Jahres fest: die Nachhaltigkeitsmesse am 8. Oktober im Kulturzentrum „Murkens Hof“. Hier präsentieren Vereine, Unternehmen, kommunale Einrichtungen und engagierte Privatpersonen ihre Angebote zum Thema Nachhaltigkeit. Die Nachhaltigkeitswochen wurden erstmals 2020 in der Gemeinde von der FWA organisiert, viele Veranstaltungen konnten wegen der Corona-Pandemie live nicht stattfinden. Deshalb, erläutert Regine Moll, seien einige Veranstaltungen„bewusst online“ über die Bühne gegangen. In 2021 war die Lage schon etwas entspannter, vieles fand in Präsenz statt. Mit 43 Veranstaltern wurden etwa 60 Aktionen und Veranstaltungen in den drei Wochen durchgeführt, damit war Lilienthal Spitzenreiter in Niedersachsen. Nun beginnen die Vorbereitungen für die diesjährigen Nachhaltigkeitswochen. Zur Vorbereitung gibt es zwei Netzwerktreffen, bei denen Ideen und Vorhaben ausgetauscht werden.

Die Organisatoren, zu denen neben Regine Moll auch Martina Michelsen, Leiterin der Volkshochschule (VHS), und Martina Sarkmann, Teamleitung der Lilienthaler Gemeindebibliothek gehören, heben hervor, dass es in Sachen Nachhaltigkeitsmesse um konkrete Themen und Ziele gehen müsse. Wenn es wie bei den Vorgaben der „Engagierten Stadt“ abstrakt sei, könnten Interessierte das jeweilige Thema nicht greifen.

Regine Moll leitet die Freiwilligen-Agentur Lilienthal. Bild von Ulf Buschmann.

Vernetzung: Einfach machen

Wie ist es mit der Vernetzung? Diese, so Regine Moll, geschehe bei der Messe selbst: „Da steht der Wirtschaftsbetrieb neben dem Umweltverband und ein Foodsharing-Anbieter arbeitet mit der Tafel zusammen.“ Und da alle Organisationen das gleiche Problem, nämlich fehlende Manpower und wenig Geld, haben, mache es Sinn, Arbeit und Euro besser untereinander aufzuteilen, indem bei der Nachhaltigkeitsmesse das große Vernetzen stattfinde. „Es ist toll, dass es solch einen Multiplikatoren-Effekt hat“, macht Martina Michelsen dann auch deutlich. Martina Sarkmann springt der VHS-Leiterin zur Seite: „Man muss einfach mal machen!“

Gewerbetreibende am Anschlag

Schade finden es alle drei, dass die Gewerbetreibenden am Anschlag arbeiten und deshalb in der Regel eher nicht an der Messe teilnehmen. Dafür sind andere Unternehmen im vergangenen Jahr dabei gewesen – Poliboy zum Beispiel mit seinen nachhaltigen Produkten. Das Unternehmen, das in der Gemeinde produziert, sei unter anderem mit einem Foodsharing-Anbieter zusammengekommen. Auch ein Kaffeeanbieter, der sein Produkt ohne Zwischenhändler verkauft, sei bei der ersten Messe dabei gewesen – ebenso, wie eine örtliche Tanzschule mit ihrem Projekt über Nachhaltigkeit. Das Motto: Bewegung tut gut.

Viel Beachtung über die Nachhaltigkeitsmesse hinaus hat das Engagement der Abfall-Service Osterholz-Scharmbeck (ASO): Das Unternehmen, an dem der Landkreis Osterholz mit 51 Prozent sowie der Entsorger Nehlsen mit 49 Prozent beteiligt sind, bietet schon seit Jahren Müllprojekte für beziehungsweise mit Kitas an. „Jeder versucht, seine Zielgruppe einzubinden“, sagt Regine Moll, „das ist gut für uns alle.“

Ein Text von Ulf Buschmann.


Gelingensfaktoren für die „Engagierte Stadt“

Alle Akteure arbeiten gemeinsam daran, das Projekt voranzubringen. Es geht immer wieder um die Frage: Wer wird eingebunden. Die Entscheidungen nicht nur darüber fallen gemeinsam, es geht nicht um einzelne Projekte und Organisationen. Dafür sowie zum Austausch untereinander sind die zwei Mal jährlich angesetzten Netzwerktreffen gedacht.

Um sich nicht von Parteien und Organisationen oder einzelnen Projekten vereinnahmen zu lassen, ist 2015 die Freiwilligen-Agentur Lilienthal als Verein und als Trägerin des Projekts „Engagierte Stadt“ gegründet worden. Gleichwohl ist den Mitgliedern bewusst: Verein und Projekt sind schwer für Menschen auseinanderzuhalten. Zur Orientierung: Alle Netzwerktreffen gehören zur „Engagierten Stadt“.

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