Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung – zwei Seiten einer Medaille? war Frage und Thema der Vernetzungskonferenz „Mitmachen- Mitbestimmen – Mitgestalten“ der Engagierten Stadt Schwerte, an der ca. 60 Personen aus Vereinen, Initiativen, Politik, Verwaltung und Wirtschaft teilnahmen. Prof. Dr. Roland Roth zeigte was Kommunen brauchen, um sich zur Bürgerkommune zu entwickeln und die Förderung von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung zu ihrem Kerngeschäft zu machen.
Beteiligung, so Roland Roth wird in Deutschland in erster Linie über die repräsentative Demokratie des Rates und der Parlamente gedacht. Immer deutlicher wird allerdings, dass die Akzeptanz politischer Entscheidungen mit dem Grad der Bürgerbeteiligung wächst. Gehört und ernst genommen zu werden wird Bürgerinnen und Bürgern immer wichtiger und wenn dies nicht durch Verwaltung und Politik organisiert wird, organisieren sich die Bürger selbst, wie z. B. Stuttgart 21 oder Bürgerbadbewegungen zeigen.
Forschungen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sagt, es ist in Ordnung Entscheidungen, die politisch getroffen worden sind abzulehnen. Eine vorgeschaltete Debatte kann Meinungen verändern, warb deshalb Roland Roth für offene Beteiligungsverfahren. Untersuchungen zeigen auch, dass 60% bis 80% der Menschen Beteiligung bei bestimmten Sachthemen will. Diese Veränderung im Demokratieverständnis hat damit zu tun, dass Menschen besser gebildet, ihre Fähigkeiten zahlreichen geworden sind und ihr Kompetenzbewusstsein größer geworden ist. Es gibt eine Selbstwirksamkeitsvermutung – etwas bewegen und gestalten zu können.
Jede Kommune geht dabei ihren eigenen Weg.
Beispielhaft ist die Einführung kommunaler Beteiligungsleitlinien, die bestimmte Standards von Beteiligung festschreiben, die auch politischer beschlossen und somit verbindlich sind. Hierzu gehören die frühzeitige Information der Bürgerinnen und Bürger über Stadtentwicklungsthemen und Planungen z. B. über so genannte Vorhabenlisten. Auch die Festschreibung eines Beteiligungsmuss ab einer bestimmten Summe, also die Pflicht zur Beteiligung beim Einsatz höherer Geldsummen, die in der Regel Steuergelder sind gehört dazu.
Was braucht die Bürgerkommune? Langen Atem und einen Mentalitätswandel
Der Weg zur Bürgerkommune, die die Förderung von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung zu ihrem Kerngeschäft macht, endet nicht. Es geht darum durch Debatten klüger zu werden. Bürgerproteste müssen abgeholt und die darin vorhandenen Kompetenzen der Bürgerschaft genutzt werden. Neue und andere Ideen führen zu besseren Entscheidungen und zu mehr Verantwortlichkeit bei jedem Einzelnen (Bsp. Bürgerbäder – Elsebad). Aber nicht nur Rat und Bürgermeister stehen vor einem Mentalitätswandel. Auch die Anforderungen an Bürgerinnen und Bürger steigen. Sie müssen sich kundig machen und Zeit investieren.
Lernprozess
Beteiligung ist ein Lernprozess. Hierfür gibt es z. B. in Baden-Württemberg Ausbildungsgänge. Hier werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung zu Trägern der Idee Bürgerbeteiligung. Bürgerbeteiligung wird zum Kerngeschäft der Verwaltung. Wichtig ist es, so Roth Kitas und Schulen in den Prozess zu integrieren damit Beteiligung und Engagement früh gelernt wird. 2006 führte Baden-Württemberg ein themenorientiertes Engagement in Schulen ein. Eine verpflichtende Form Engagement praktisch zu erfahren und zu lernen. Stärkend wirkt auch, dass laut Untersuchungen mittlerweile 2/3 aller Familien Verhandlungsfamilien sind, in denen diskutiert wird, um zu Lösungen zu gelangen. Kinder werden nach ihrer Meinung gefragt.
Ressourcen
Eine weitere Grundlage für Beteiligung ist Zeit, Geld und Personal. Nicht nur Beteiligungsverfahren kosten Geld und den Einsatz von (zuvor geschultem) Personal sondern auch Beteiligungsprojekte brauchen Geld. Hierfür können Fonds eingerichtet oder Budgets aufgelegt werden. Beispielhaft in der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern sind Schülerhaushalte. Die Schülerschaft bekommt z. B. 7000,00€ und entwickelt Projekte um ihre Schule schülerfreundlich zu gestalten. Diese Projektidee war besonders in Förderschulen eine große Erfahrung für Kinder und Jugendlichen, einfach nach ihren Ideen gefragt zu werden und diese auch umsetzen zu können, so Roth. Und nicht zuletzt braucht die Bürgerkommune eine Koordinierungsstelle für das Thema Beteiligung und Engagement.
Tricks
In der sich anschließenden Diskussion wurde Roland Roth nach Tricks befragt, wie das Thema Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung nach vorne gebracht werden kann. Der Trick besteht darin, so Roth, dass alle es wollen. Rat und Verwaltung, insbesondere die Stadtspitze muss die Bürgerkommune wollen.
Wie geht es weiter in Schwerte?
Schwerte hat 2015 eine Entwicklungsgruppe Bürgerkommune gegründet, die aus Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung, inklusive Bürgermeister sowie Vertreterinnen und Vertreter der im Rat aktiven Parteien und Akteurinnen und Akteure aus dem Bürgerengagement und der Wirtschaft besteht. Gemeinsam soll bis Ende 2017 ein Konzept zur Förderung von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung erarbeitet und politisch beschlossen werden. Der Vortrag von Prof. Dr. Roth war für die Gruppe und alle anderen Gäste sehr inspirierend. Die Vernetzungskonferenz wird auch 2017 stattfinden und Gelegenheit zur Vernetzung und Diskussion bieten.
Von Anke Skupin, Engagierte Stadt Schwerte