Die Men­schen vor Ort wissen am besten, was wie wo passieren muss 

Marion Zosel-Mohr und Jochen Beuckers sind von ihren Kolleginnen und Kollegen der Engagierten Städte gewählt und repräsentieren offiziell alle Engagierten Städte in der Steuerungsgruppe der Programmträger. In der Steuerungsgruppe tragen sie Meinungen und Erfahrungen der Engagierten Städte bei und bringen dort deren Perspektiven ein. Wenn Sie in Ihrer Engagierten Stadt selbst Ideen oder Anregungen für die Programmträger oder die Weiterentwicklung des Netzwerks haben, melden Sie sich einfach bei Marion Zosel-Mohr oder Jochen Beuckers unter der E-Mail-Adresse: ed.tdatsetreigagne@rehcerps-se

SprecherInnen der Engagierte Städte

Marion Zosel-Mohr
ist Koordinatorin der Engagierten Stadt Stendal und seit 2018 Sprecherin der Engagierten Städte.

Jochen Beuckers
koordiniert die Engagierte Stadt Königswinter und vertritt seit 2018 die Engagierten Städte als Sprecher.

„Am Ende geht es immer um ein gutes Leben vor Ort“

Marion Zosel-­Mohr aus Stendal und Jochen Beuckers aus Königswinter sind seit 2018 die gewählten Sprecher*innen der Engagierten Städte. Trotz Corona und Ukraine­ Krieg ist es in den vergangenen Jahren gelungen, das Programm auszubauen: Die Zahl der Kommunen hat sich mehr als verdoppelt, das Partnernetzwerk vergrößert. 2024 ging es in die vierte Phase, in der neue Aufgaben warten: das Schaffen resilienter nachhaltiger Engagementstrukturen und die Etablierung zentraler Orte.

Frau Zosel-Mohr, Herr Beuckers, Sie sind schon alte Hasen des Netzwerkprogramms.
Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie auf die vergangenen drei Jahre zurück blicken?

Marion Zosel-Mohr: Die offensichtlichste Veränderung in den vergangenen drei Jahren war das große Wachs­tum von 50 auf über 100 Engagierte Städte. Das war ein quantitativer Sprung, der zeigt, wie attraktiv die Idee der Engagierten Stadt ist. Um dieses Wachstum gestalten zu können, haben wir das neue Modell der Praxisbegleiter*innen entwickelt. Die neuen Städte sind in Tandems mit bereits erfahrenen Städten unterwegs.

Jochen Beuckers: Ich erinnere mich an viele großarti­ge Begegnungen, an den Zusammenhalt im Netzwerk, an viele gute Ideen und spannende Projekte. Wir haben in Phase III, also ab 2020, einen echten Pers­pektivwechsel hinbekommen, nämlich die Verände­rung des Programms hin zu einer Bewegung, in der die Engagierten Städte selbst die Verantwortung für die Weiterentwicklung des Netzwerks tragen. In einem längeren Prozess haben wir unseren Anspruch der positiven Veränderung von Stadtgesellschaft mit starken Kooperationen und trisektoraler Zusammen­arbeit von Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft aus den Städten heraus formuliert. Ein weiterer großer Schritt, eine echte Neuerung, war die Aufnahme dreier Bundesländer als Länderpartner.

Auch um sie in die Finanzierung des Programms einzubinden?

Marion Zosel-Mohr: Es geht nicht darum, einfach nur Lasten zu verteilen, sondern darum, die Idee weiterzutragen. Aber es ist richtig: Wir müssen uns auch in Zukunft Gedanken darüber machen, wie wir die Finanzierung vor Ort nachhaltig gestalten. Da können auch die Bundesländer eine Rolle spielen. Sie merken jetzt, dass die Engagierten Städte ein echter Mehrwert auch für die Landeskultur sind, weil viele Impulse aus den Städten kommen und dort ein besonderer Spirit herrscht.

Was macht diesen Spirit aus?

Jochen Beuckers: Das Vertrauen, das im Netzwerk entstan­den ist, und die große Bereitschaft, Ideen und Erfah­rungen zu teilen. Auch, wenn der Fokus der Arbeit immer auf der eigenen Stadt liegt, arbeiten wir gemeinsam an Themen, die über die jeweiligen Städte hinausgehen. Wir wollen Dinge gemeinsam verän­dern. Und wir haben gelernt, dass wir permanent in Prozessen unterwegs sind, die auch in aktuellen Entwicklungen Bestand haben müssen. Ich kann mich noch gut an 2015 erinnern, als die Ankunft der vielen Geflüchteten viele Planungen in den Engagier­ten Städten komplett umwarf, weil die Prioritäten plötzlich andere waren und jeder auf sich gestellt war. Heute können wir viel schneller reagieren und auf den entwickelten Strukturen aufbauen.

„Wir sprechen in der Engagierten Stadt vom Bottom­-up­-Ansatz, das ist unsere Stärke. Die Men­schen vor Ort wissen am besten, was wie wo passieren muss. Deshalb brauchen wir eine Kultur des Mitwir­kens, des miteinander Anpackens. Menschen vor Ort brauchen die Freiheit, in Vielfalt Lösungsansätze zu entwickeln. Wir stärken die vor Ort wachsende Innovationskraft und tragen diese Ansätze in die Breite, das macht uns erfolgreich.“

Jochen Beuckers, Sprecher der Engagierten Städte

Diese Stärke ist auch während der Coronapandemie nicht schwächer geworden?

Marion Zosel-Mohr: Zum einen leben wir von Begegnung, von Kommunikation, von der Arbeit mit Menschen vor Ort. Das alles war während der Pandemie nur sehr eingeschränkt möglich. Zum anderen haben wir Partner in unseren jeweiligen Netzwerken verloren, die in der Zeit nicht mehr handlungsfähig waren und die teilweise jetzt erst langsam zurückkommen. Wir haben auch gespürt, dass sich im Engagementbereich Menschen zurückgezogen haben und andere Themen priorisiert wurden. Unsere etablierten Prozesse haben uns aber geholfen, diese Herausforderungen besser zu managen als früher. Das gilt auch für die Folgen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Wir Engagierten Städte haben unheimlich viel gelernt, sodass wir heute entspannter, sicherer und strukturierter agie­ren können. Dieses Erfahrungswissen ist elementar, um mit Krisen entsprechend umgehen zu können.

Ein großes Thema der letzten Programmphase hieß Skalierung. Wenn man sich die Karte der über 100 Engagierten Städte ansieht, gibt es große Lücken in Baden-Württemberg, Brandenburg und Niedersachsen. Warum?

Jochen Beuckers: Zunächst reden wir hier über ein freiwilli­ges Bewerbungsverfahren. Wir haben festgestellt, dass sich Städte leichter bewerben, die von anderen Engagierten Städten wissen, das ist organisches Wachstum. Unser Ziel ist es, mit bestehenden anderen Netzwerken zusammenzuarbeiten und Synergien zu schaffen. Wir sind ja kein Verband, sondern ein Netzwerk und eine Bewegung, die Menschen von einem gesellschaftlich sinnvollen Ansatz überzeugen will. Und da sind wir sicher noch nicht am Ende der Entwicklung.

Seit der letzten Phase können sich auch Stadtbezirke mit bis zu 250.000 Einwohner*innen bewerben.
Wie hat sich das auf die Arbeit des Programms ausgewirkt?

Marion Zosel-Mohr: Wir beide hatten unsere sicher nicht ganz unberechtigten Vorbehalte gegenüber der Erweite­rung des Netzwerks mit Städten über 100.000 Einwoh­ner*innen. Man kann in kleineren Einheiten ganz anders wirken als in den großen Städten mit ihren komplexeren Rahmenbedingungen.

Jochen Beuckers: Es ist völlig klar, dass uns das organisato­risch ein Stück weit herausfordert und dass es nie Schwerpunkt der Engagierten Stadt sein wird, die ganz großen Städte als Gesamtkonstrukt zu integrie­ren. Trotzdem sind viele Themen in großstädtischen Räumen mit denen in kleineren Kommunen ver­gleichbar, etwa wenn man in Quartieren denkt.

„Wir stehen vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die müssen wir stemmen und das können die Menschen vor Ort manchmal in vielen kleinen Mosaiksteinchen besser als große Programme. Wir wollen Menschen aktivieren und gute, tragfähige Kooperationen aufbauen. Das ist unser Ansatz.
Die Engagierte Stadt hat das Potenzial, viele Fragen anzugehen. Wir reden über ein existenzielles Thema für unsere Gesellschaft, wir reden hier über gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Demokratie.“

Marion Zosel-Mohr, Sprecherin der Engagierten Städte

Neu ist auch das Tandemmodell, bei dem eine alte eine neue Engagierte Stadt begleitet.

Marion Zosel-Mohr: Dieses Peer-­to-­Peer-­Learning ist sehr wichtig. Wir in Stendal hatten bislang drei Tandem­partner, nun sind wir als Vierer­Kleeblatt unterwegs. Wir treffen uns jeden Monat digital, tauschen uns aus und befruchten uns gegenseitig mit unseren Aktivitä­ten. Unsere Tandemarbeit basiert auf dem Prinzip der kollegialen Beratung. Es ist oft hilfreich, wenn wir moderierend mit den Netzwerkpartner*innen unserer Tandemstädte ins Gespräch kommen.

Jochen Beuckers: Das nährt die Erfahrungswerte, fördert die persönliche Vertrauensebene und vieles mehr, was wir für dieses Netzwerk brauchen. Jede neue Enga­gierte Stadt hat eine Tandempartner*in, sei es inner­halb eines Bundeslands oder übergreifend, da gibt es keine Regel. Wichtig ist, dass der Benefit auch bei den alten Engagierten Städten liegt und auch sie neue Anregungen und Ansätze bekommen. Wir in Königs­winter hatten Koblenz als Tandempartnerin, dort gibt es seit vielen Jahren ein ausgefeiltes Lernpaten­ Projekt. Der Austausch darüber war für uns eine gute Grundlage für ein ähnliches Projekt in Königswinter. Das ist vernetztes Denken und stärkt den Blick über die eigene Stadt hinaus.

In einer Zeit, in der es den Kommunen nicht gerade gut geht …

Marion Zosel-Mohr: Ja, viele Kommunen stöhnen unter den Belastungen und weiter hinzukommenden Herausfor­derungen. Viele Kommunen sind schon sehr enga­giert und glauben, dass mehr nicht möglich ist. Aber das ist nicht der Punkt. Das grundsätzliche Problem ist, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt abge­nommen hat. Die Kommunen haben oft ein Problem, wenn Bundesprogramme aufgelegt werden und sie im Nachhinein in die Finanzierung eingebunden wer­den. So entstehen leider immer wieder sogenannte „Projektruinen“. Aber genau das wollen wir verhin­dern! Wir brauchen Verlässlichkeit. Deswegen ist sie so wichtig, auch in etablierten Strukturen.

Nun haben Sie mit einigen Bundesländern und Ver-bänden wie dem Deutschen Städtetag neue Partner an Bord. Warum ist das Engagement der vielen so wichtig?

Jochen Beuckers: Das Netzwerkprogramm der Engagierten Stadt will verschiedene Herangehensweisen, Interes­sen und Ressourcen zusammenbinden. Wir verstehen uns als Klammer, um Prozesse im Sinne der Enga­gierten Stadt anzustoßen, die Kooperationen ermögli­chen und erweitern. Und Organisationen wie etwa der Städte­ und Gemeindebund spielen eine wichtige Rolle. Denn je stärker Kommunen sind, eine gute Verwaltung haben, der/die Bürgermeister*in bei der Engagementförderung mitzieht, desto mehr gewinnen alle. Wir brauchen Kommunen als Ermöglicher für zivilgesellschaftliches Engagement. Denn Zivilgesell­schaft kann die Herausforderungen nicht alleine lösen, Verwaltung nicht, Politik und Wirtschaft ebenfalls nicht. Aber wir wissen auch: Nicht alles ist auf der lokalen Ebene zu bewältigen, auch wenn wir alle hier wirksam werden müssen. Wir brauchen eine aktive Rolle der Landes­ und der Bundesebene. Deswegen gehören alle mit an Bord.

„Die Nachhaltigkeit unserer Arbeit ist das zentrale Thema. Wir sind jetzt im achten Jahr der Engagierten Stadt, das hätten in der Startphase nur wenige für möglich gehalten. Dadurch, dass wir strukturell, strategisch und vernetzt denken, haben wir eine besondere Fähigkeit, im Engagementthema neue Akzente zu setzen. Die Faktoren Zeit und Geduld spielen eine große Rolle. Wenn wir Strukturen aufbauen, Erfahrungen sammeln und weitergeben, Neues entwickeln wollen, kann man das nicht einfach aus der Hüfte schießen – dafür braucht es ein hohes Maß an Verlässlichkeit, Vertrauen und Ressourcen.“

Jochen Beuckers, Sprecher der Engagierten Städte